Die Domburg in Hildesheim erscheint den meisten Einheimischen und Besuchern wahrscheinlich, obwohl es bei einem ausgedehnten Rundgang recht auffällig ist, nicht als Burganlage. Zumindest in Hildesheim hat es Gründe, dass es sich hier eigentlich um eine christliche Befestigungsanlage handelt. Die Sachsen hatten sich lange mehr oder weniger gegen den Fremdherrscher Karl den Großen und seine Zwangschristianisierung zur Wehr gesetzt. Erst am Ende des 8. Jahrhunderts waren die aufständischen Sachsen militärisch weitestgehend geschlagen und wenige Jahre später wurde von Karls Sohn, Ludwig dem Frommen, das Bistum Hildesheim gegründet, um die neue Religion “unters Volk” zu bringen. Vermutlich gab es vorher germanische Heiligtümer auf dem heutigen Michaelishügel (Wotan?) und der Erhebung, auf der sich heute die Domburg befindet (Ostara?). Um den neuen Glauben zügig durchzusetzen, wurden also nicht nur in Hildesheim alte Heiligtümer zerstört, praktischerweise einfach überbaut oder umfunktioniert. Auch um sich vor möglichen Übergriffen (nicht nur) der streitlustigen Sachsen zu schützen und wohl auch den Übergang über die damals noch weitverzweigt dahinfließende Innerste zu schützen, wurde der Domplatz von Anfang an befestigt.

Der nördliche Domhof

Der nördliche Domhof

Man kann davon ausgehen, dass die Ummauerung des Geländes mindestens in die Zeit um 815 fällt. Vielleicht ist die erste Mauer sogar vor der Errichtung der Marienkapelle erfolgt, die den späteren Dombauten voranging. Es war der für Hildesheim heute noch, über 1000 Jahre später, so segensreiche Bischof Bernward, der um das Jahr 1000 den Dombezirk erweiterte und ihn mit einer für damalige Verhältnisse gewaltigen Mauer umgab. Die Sachsen waren wohl damals bereits weitestgehend assimiliert und so dienten die 12 Rundtürme der Mauer eher dem religiösen Ansinnen Bernwards, hier eine “Gottesstadt” entstehen zu lassen. Auch in Sachen Befestigung war die Domburg eine der Keimzellen der Stadtentwicklung. An die Dommauer anschließend wurde in späteren Jahrhunderten nach und nach die sich ständig vergrößernde Stadt in ein ganzheitlich umfassendes Verteidigungswerk aufgenommen bzw. dieses ging von ihr aus. Die Reste der ursprünglichen Stadt- und Dommauer, einschließlich der Bernwardsmauer, die man heute am Parkplatz des Bernwards-Krankenhauses erleben kann, gelten als älteste Stadt- und Domummauerung im nördlichen Europa. Innerhalb der Dommauer befinden sich zahlreiche über die Jahrhunderte errichtete architektonische Sehenswürdigkeiten, in denen sich zahlreiche Kulturgüter befinden, die Hildesheim zu einem Welterbetitel der UNESCO verhalfen. Auch wenn heute im Bistum nur noch ca. 11 % der Menschen dem katholischen Glauben angehören, in der Stadt Hildesheim sind es ca. 28 %, ist der Dombezirk ein kultureller Hotspot, dessen Ausstrahlung im Laufe der Jahrhunderte wenig an Kraft eingebüßt hat.

Machen wir einen kleinen Rundgang über den Hof der Domburg, von der Andreas-Passage kommend. Hier stand einst mit dem Peterstor das zweite Tor der Befestigung des Domes. Auf der Ecke rechts steht die 1997 neu erbaute öffentlich zugängliche Dombibliothek, die aus der Domschule hervorging und im Laufe der Jahrhunderte aus verschiedensten Quellen Zuwachs bekam. Über 120.000 Bände beherbergt sie und gilt als älteste Bibliothek Norddeutschlands. Gegenüber steht das Gebäude der ehemaligen Landesregierung des Regierungsbezirks Hildesheim (1885-1978), das zwischen 1887 und 1889 erbaut wurde. Heute befindet sich in dem schönen Gebäudekomplex das Landesamt für Soziales, Jugend und Familie. Wir treten auf den nördlichen Domhof, der in den letzten Jahren nicht zu seinem Nachteil neu gestaltet wurde. Rechterhand eine Reihe schöner Kapitelhäuser, über deren Nutzung ich als interessierter Laie nicht viel weiß. Am Haus Nr. 29 ist ein spätgotischer Erker zu sehen, der nachträglich hier angebracht wurde. Ein kleiner Einblick in die zur Pfaffenstraße gelegenen Gärten wird uns hier gewährt. Das letzte langgezogene Gebäude in der Reihe ist das 1701 erbaute Bischofshaus (Domhof 25), das seit 1829 auch von den Hildesheimer Bischöfen bewohnt wird.

Hoher Dom St. Mariä Himmelfahrt

Hoher Dom St. Mariä Himmelfahrt

  • um 780 Errichtung einer Missionskapelle, möglicherweise an einem Heiligtum (Wilde Rose?) der Göttin Ostara
  • 815 gründete Ludwig der Fromme das Bistum, setzte den Franken Gunthar als ersten Bischof ein, der eine Marienkapelle erbauen ließ. Zeitgleich erfolgte der Bau einer der heiligen Cäcilia geweihten Kirche (“Gunthar-Dom”). Die Domschule (heute Gymnasium Josephinum) und die Hildesheimer Dombibliothek müssen in dieser Zeit entstanden sein
  • 852-872 ließ Bischof Altfrid einen neuen, festen Dom errichten, der in Lage und Grundriss dem heutigen Gebäude entspricht
  • 919-1024 regierten sächsische Könige und Kaiser das ostfränkisch-deutsche Reich. In dieser Zeit entwickelte sich die Domburg unter Bischof Bernward und Bischof Godehard zu einem der Kultur- und Machtzentren des Reichs
  • 1046 zerstörte ein Feuer Großteile des Doms und der umliegenden Siedlung, ab 1054 ließ Bischof Hezilo einen Domneubau auf den Fundamenten des Altfried-Doms errichten.
  • Im 15. Jahrhundert entstanden die Seitenkapellen der Nord- und Südseite
  • Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das baufällige Westwerk abgebrochen und durch eine neuromanische Doppelturmfront ersetzt
  • 1945 wurde der Dom während der verheerenden Luftangriffe nahezu vollständig zerstört
  • 1950 bis 1960 Wiederaufbau des Doms in vereinfachter Form. Er erhielt dadurch wieder Züge des frühromanischen Bauwerks
  • 2010-2014 wurde auch der Dom zur 1200-Jahr-Feier des Bistums aufwändig saniert

Zwischen diesem Haus und dem Gebäude der Bernward Mediengesellschaft (Domhof 24) steht das erhaltene der zwei Tore der Domburg, das Paulustor. Daneben das Gebäude der ehemals Fürstbischöflichen Residenz, das zwar Raum-ausfüllend ist, aber durch seine Schlichtheit fast ein wenig unpassend wirkt. Seit dem 11. Jahrhundert befand sich an dieser Stelle die bischöfliche Kurie, in der repräsentative und verwaltende Aufgaben wahrgenommen wurden. Hier befanden sich auch die Schatz- und Waffenkammer der Domburg. Das heutige Gebäude stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und beherbergt das Bischöfliche Generalvikariat. Wir gelangen zum südlichen Teil des Domhofs, auch Kleiner Domhof genannt. Aus dem hier vorhandenen Gebäudeensemble ragen die Nr. 17 mit den Fachwerk-Obergeschossen und das Barockportal des Gymnasium Josephinum heraus. Die schmale, abwärts führende Gasse zwischen den Gebäuden ist die Stinekenpforte. Hier erkennt man, wie an vielen anderen Straßennamen Hildesheims, den derben Humor der früheren Bewohner. Denn in früheren Zeiten wurden hier die “Hinterlassenschaften” der Domhofbewohner in die damals noch oberirdisch verlaufende Treibe entsorgt, an die heute leider nur noch der Straßenname erinnert. Auch der Hückedahl (Hocke nieder) erinnert an die Zeiten, in denen Aborte dazu dienten, die Geschäfte “immer an der Wand lang” zu tätigen.

Die Bernwardstür

Die Bernwardstür

Natürlich könnte man Bücher über den Domhof, seine Gebäude, seine Schätze schreiben und es ist wohl auch geschehen. Aber erstens habe ich keine Ahnung und zweitens soll der Beitrag nur eine etwas persönlich angehauchte Betrachtung sein. Wie die Katze um den heißen Brei kann man also einige Zeit über den Domhof schleichen, ohne das zentrale Gebäude selbst zu betreten. Selbst im Vergleich mit anderen deutschen Bischofskirchen wirkt es klein, schlicht und bescheiden, ein Zeichen des mir nur allzu wohlbekannten Hildesheimer Understatement. Die Domburg mit ihren Gebäuden und den in ihnen verborgenen, aber zugänglichen Schätzen, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass man hinter nicht allzu vorgehaltener Hand Hildesheim als heimliche Kulturhauptstadt Niedersachsens bezeichnet. Ich kann und will hier nicht auf alles eingehen und nicht mit zahlreichen Superlativen um mich werfen … siehe Understatement. Mittlerweile ist Hildesheim kein Geheimtipp mehr, war es eigentlich nie. Der Dom, selbst ein herausragendes Beispiel romanischer Baukunst und das Dommuseum beherbergen zahlreiche Kostbarkeiten, wie die Bernwardstür und die Christussäule, das Hildesheimer Marienreliquiar und den Heziloleuchter, das Bernwardskreuz, den Godehardschrein und vieles mehr. Wunderschön ist auch der Kreuzgarten mit dem seltenen doppelstöckigen Kreuzgang und natürlich, last but never least, dem Tausendjährigen Rosenstock, eine nach aktuellem “Wissensstand” wohl durchaus ca. 700 Jahre alte Hundsrose. Alleine die Domburg mit allem Drum und Dran ist eine Reise wert und kann einen erlebnisreichen Tag füllen.

Kurz empfehle ich noch einen Außenrundgang um die Domburg. Treten wir aus dem Paulustor heraus, erreichen wir das Roemer- und Pelizaeus-Museum und damit eine weitere Schatzkammer der Stadt. Es beherbergt bedeutende Sammlungen an Kunstschätzen aus Altägypten und Altperu, eine ebensolche Sammlung chinesischen Porzellans und eine 300.000 Objekte umfassende naturkundliche Sammlung. Links herum geht es an der Dommauer entlang. Deutlich erkennbar noch die Franziskaner-Klosterkirche St. Martini, die heute Teil der Museums ist. Jenseits des Museums sind noch das “Haus der Landschaft” mit dem Stadtarchiv und Schlegels Weinstuben sehenswert. Vor ersterem blühen im Frühling prächtig die Magnolien, zweiteres ist ein 1540 erbautes Fachwerkhaus. Zwischen der Mauer und dem ehemaligen Klostergebäude erreichen wir den Parkplatz des Bernward-Krankenhauses. Rechts sind die Wallanlagen des Kalenberger Grabens zu erkennen, links die Dom- und Stadtmauer. Hier finden wir auch ein Stück der bernwardinischen Mauer mit den Fundamenten eines Rundturms. Eine Infotafel gibt Auskunft darüber, welcher Teil dieser Mauer wann errichtet wurde. Das in den letzten Jahrzehnten modern umgebaute Krankenhaus wurde 1852 als solches auf dem Gelände eines säkularisierten Kartäuserklosters gegründet. Das Barockportal an der Ecke “Neue Straße” erinnert an die Klosterzeit.

Die Legende vom Tausendjährigen Rosenstock

Die Legende vom Tausendjährigen Rosenstock

815 weilte Kaiser Ludwig der Fromme am Königshof in Aula Caesaris, kurz Aulica (heute Elze), das sein Vater Karl der Große, der 814 verstorben war, zu einem neuen Bischofssitz auserkoren hatte. Zur mannhaften Erquickung und zur Aufbesserung des Speiseplanes, machte der Herrscher sich mit seinem Gefolge auf die Socken, um in den dichten Wäldern östlich des Hofes dem Jagdvergnügen zu frönen. Als die Gesellschaft im Bereich des heutigen Hildesheim war, trat ein kapitaler weißer Hirsch aus dem Wald, sah die Jäger und floh. Der Kaiser reagierte am schnellsten und nahm auf seinem prächtigen Hengst unverzüglichst die Verfolgung auf. Es ging immer weiter in den dichten Wald, der Hirsch war nicht einzuholen und schließlich brach das Pferd Ludwigs vor Erschöpfung zusammen. Der rappelte sich auf und blies in sein Horn, um die Getreuen herbeizurufen, aber niemand antwortete ihm. Irgendwann wurde es ihm ein wenig bang ums Herz. Er nahm sein Brustkreuz mit dem Heiligtum unserer Lieben Frau, hängte es in den nahen Strauch einer wilden Rose, fiel auf die Knie und betete inbrünstig um Rettung aus der gar misslichen Lage. Schließlich schlief er ein. Als er wieder erwachte, war in seiner unmittelbaren Umgebung alles von Schnee bedeckt, während darüber hinaus alles grünte. Der Rosenstock hingegen blühte in aller Pracht. Als der Kaiser das Heiligtum entfernen wollte, gelang es ihm beim besten Willen nicht. Darin sah er eine Fügung des Schicksals und er beschloss, an dieser Stelle eine Kapelle bauen zu lassen. Da erschollen auf einmal Jagdhörner und kurz darauf erschien sein Gefolge. Diesem erzählte Ludwig von den Geschehnissen und ließ um das Heiligtum und den Rosenstock eine Kapelle bauen. Später entschied er dann sogar, den geplanten Bischofssitz von Elze hierher zu verlegen.

Links sehen wir die Stinekenpforte zum Domhof, rechts das Mutterhaus der “Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul” in Hildesheim und dahinter St. Paulus, die ehemalige Klosterkirche eines Dominikanerklosters, in dem sich heute ein Altenpflegeheim befindet. Im Hückedahl folgt links die nicht gerade bezaubernde Kehrseite des Gymnasiums und linker Hand eine Mauer, hinter der sich der hübsche Garten des Mutterhauses/Pflegeheims befindet, den wir allerdings nicht einsehen können. Danach links ein neuer Durchgang zum Kleinen Domhof, rechts das Arbeitsgericht Hildesheim. An der Ecke Kreuzstraße angekommen, lohnt sich ein Blick nach rechts. Am Knick der Straße steht mit der Heilig-Kreuz-Kirche eine im 11. Jahrhundert umgewandelte Toranlage der Stadtbefestigung. Links können wir jetzt über eine Treppe auf den Großen Domhof zurückkehren und die kleine “Umgehung” beenden.

Das Roemer-Pelizaeus-Museum

Das Roemer-Pelizaeus-Museum

Eine Menge Halb gegartes, Halbwahrheiten und gefährliches Halbwissen habe ich dieses Mal präsentiert und mich so schwer wie nie getan, einen Beitrag zu schreiben. Agnostiker bin ich schon ewig und Anhänger der Alles ist möglich-Theorie. Gerade das Wandern hat mich wieder mehr zur Natur geführt und damit auch mehr zu unseren “heidnischen” Vorfahren, die diese verehrten und keine Prunkpaläste brauchten, um ihrem Schöpfer zu begegnen. Die christliche Kirche als Institution hat vieles “geschaffen”, vieles bewahrt, aber auch vieles zerstört und war immer wieder Instrument der Strömungen, die versucht haben, die Menschen ihrer persönlichen Freiheit zu berauben. Trotzdem mag ich die Kirche im Dorf, das Kloster am Wald oder die Kapelle auf dem Berg, ohne die unsere Gesellschaft heute noch viel ärmer wäre, als sie es ohnehin zu sein scheint. Viele engagierte Menschen, die Gutes nicht nur tun, um damit größer oder mächtiger zu wirken, arbeiten für und an und in der Kirche und da ich eine grundsätzlich positive Einstellung besitze, gehe ich davon aus, dass die Waagschale sich eher zum Besseren neigt. Da ende ich auch gerne mit Franz von Assisi, von dem folgende Sätze stammen sollen: “Alle Gebilde der Schöpfung sind Kinder des einen Vaters und daher Brüder” und “Wenn jeder einzelne darauf verzichtet Besitz anzuhäufen, dann werden alle genug haben”…

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