An der alten Bastion

An der alten Bastion

Hildesheim, das natürlich eine wunderbare und wanderbare Umgebung hat, ist in seinem Zentrum auch durch Umgestaltungen der letzten Jahrzehnte nicht gerade mit Grün gesegnet. Neben der herausragenden Grünanlage der Wälle gibt es auch nur wenige nennenswerte, aber irgendwie auch immer kleine und feine Parks und/oder parkähnliche Anlagen in der Stadt. Die Steingrube, einstmals Standort der Steingrubenkaserne, die auf einem verfüllten Steinbruch errichtet wurde, wird seit einigen Jahren vorbildlich neu gestaltet. Der Ernst-Ehrlicher-Park, ehemals Klostergarten und dann Landschaftsgarten der Hildesheimer Kaufmanns- und Bankiersfamilie Dyes, ist wegen seiner Lage und Schönheit der vielleicht am häufigsten “heimgesuchte” Park. Den ehemaligen Marienfriedhof, eher ungünstig gelegen, versucht man in den letzten Jahren mehr oder weniger erfolgreich wieder ins Gedächtnis der Hildesheimer zu rücken. Vergessen darf man natürlich auch nicht Anlagen wie den parkähnlichen Nordfriedhof, den Friedrich-Nämsch-Park in der Nordstadt, den ehemaligen Johannisfriedhof, die Anlage am Königsteich oder die begrünte Sedanallee, wenngleich diese für den Kurzbesucher der Stadt eine eher untergeordnete Rolle spielen dürften. Wie Phoenix aus der Asche hat sich am Anfang des 21. Jahrhunderts eine Anlage erhoben, die wie das sie umgebende Hildesheim, klein und fein und irgendwie außergewöhnlich ist: Der Magdalengarten…

Der ehemalige Garten und heutige Park erstreckt sich zwischen der hier zurückgezogen verlaufenden Stadtmauer und einer Mauer im Westen, die 1827 errichtet wurde, als aus dem 1810 säkularisierten Magdalenenkloster eine Heil- und Pflegeanstalt wurde. Warum die Stadtmauer hier so weit entfernt vom mächtigen Hohen Wall verlief, kann ich nicht sagen, da ich mich bedauerlicherweise vor einigen Jahren von der meisten Literatur über Hildesheim getrennt habe und die Infos im Netz recht spärlich sind. Witzigerweise ist die Mauer in etlichen Karten schnurgerade am Graben entlang dargestellt, in anderen halt zurückgezogen am Rand des Michaelisklosters. Es wird wohl verteidigungstechnische Gründe gegeben haben und für den Park sind die beiden schönen Mauerstücke heute ein weiteres Herausstellungsmerkmal. Auch in der Süsternstraße lässt sich ein gut erhaltenes Stück Stadtmauer direkt am Spielplatz bestaunen. Nimmt man den Weg durch den Magdalenenhof, ist dieses Mauerstück von der anderen Seite zu sehen. Über die Klosterstraße erreicht man den Park direkt an der Aussichtsterrasse, von der aus man die erste und beste Aussicht über den gesamten kleinen und feinen Park hat. Ab hier gilt wie immer: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Kreuz und quer oder nach einem irgendwie gearteten Muster kann man den Park erkunden und ab und an auf einer der gar nicht so zahlreichen und begehrten Bänke eine Pause einlegen. Empfehlenswert ist auf jeden Fall die Runde rechts herum, erst an der Stadtmauer zum Weinberg, dann an der jüngeren Mauer zum Aussichtspunkt “Michaelisblick”, von dem aus sich ein einzigartiger Blick über den Park und die dahinter erscheinenden Kirchen St. Michael und St. Andreas bietet.

Wildtulpen im Westteil

Wildtulpen im Westteil

Geht man von der Terrasse aus rechts herum, gelangt man vorbei an der Stadtmauer mit dem etwas versteckten, vermutlichen Überrest einer alten Bastion und einer Streuobstwiese zum historischen Weinberg des Michaelisklosters, der seit den 1990er Jahren vom Hildesheimer Weinkonvent bewirtschaftet wird. Fast als Event kann man die damit verbundene, alljährliche Übergabe des Zehnten an den Bischof von Hildesheim bezeichnen. Steht man am Pavillon auf dem “Gipfel” des Weinbergs, reicht der Blick bis zum markanten Fernsehturm auf dem Griesberg, für uns Hiker eines der Wahrzeichen und immer wieder auch “Leuchtturm” in die Heimat. Ob es stimmt weiß ich nicht, aber während des Schreibens dieses Beitrages ist mir bewusst geworden, dass die höchste Stelle des Magdalenengartens eventuell die höchste Erhebung der Altstadt Hildesheim sein könnte. Hinter uns auf der anderen Seite der Mauer befindet sich das Rondell, von dem aus der Hohe Wall hier 20-30 Meter zur Innerste steil abfällt. Wenn man hier so rumsteht, erscheinen Sagen, Mythen und wild anmutende Spekulationen um die Gegend des geistigen und kulturellen Zentrums unseres Weltkulturerbes gar nicht einmal so abwegig. Die Römer könnten hier kurzzeitig tätig gewesen sein und nicht unwahrscheinlich erscheint es, dass die Gegend um Hildesheim zum Kernland der Cherusker zählte. Von hier aus machten sie dann, zusammen mit anderen Nachbarn, um Christi Geburt vielleicht dem römischen Expansionsversuch den Garaus, so wie ihre Vorfahren lange zuvor fast die Gletscher der Eiszeit aufhielten und ihre Nachkommen später dann die Bischöfe der Stadt dazu brachten, ihnen die zwei Wasserburgen Marienburg und Steuerwald vor die Nase zu setzen? Ein Schelm, wer es anzuzweifeln wagt.

Viele kleine Indizien lassen mich, staatlich anerkannter, nichtsnutziger Laie, immer wieder stutzen. Die Verlegung des Bistums von Elze (Aliso?) nach Hildesheim (Hild = Kampf?). Das Michaelisviertel mit seinem quadratischen Grundriss und der vermuteten, schon vorchristlichen Befestigungsanlage. Alte Verbindungswege führen von hier aus in und durch die Hildesheimer Börde, schon immer eine der landwirtschaftlich ertragreichsten Gegenden unserer Heimat. Die Irminsäule im Dom und die Dörfer Irmenseul (Irminsul?), Segeste (Segestes?) und Schellerten (Römerlager Scelerata?), die Innerste = Indrista = Idista(viso), der Hildesheimer Silberfund am Galgenberg … kann man das und vieles mehr wirklich zu 100 Prozent ungeprüft außer Acht lassen und kann das alles noch Zufall oder Unsinn sein? Ist es unsinniger als der nachträglich in Teutoburger Wald umbenannte Osning? Was heute noch vielen als unumstößliche Tatsache gilt, basierend auf wie immer unsicheren Quellen, oft den gesunden Menschenverstand ignorierend, wird eines Tages vielleicht als historische Spinnerei unserer Zeit gelten…

Blick in den Nordteil

Blick in den Nordteil

Ääh? Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, der Magdalenengarten! Immer an der Wand entlang geht es vom Weinberg zum Michaelisblick, von wo aus man einen imposanten Ausblick hat. Hinter dem Park und der umliegenden profanen Bebauung erheben sich die Silhouetten der Gottesburg St. Michael und der Turm der St. Andreas-Kirche. “Unten im Tal” liegt der flache Teil des Parks mit Streuobstwiese, Rosengarten, Spielplatz, Kräutergarten und dem ganzen Rest vom Schützenfest. Seit einiger Zeit findet das alljährlich ausgerichtete Magdalenenfest statt, das eher was für Freunde gepflegten Lifestyles ist. Ich habe lieber meine Ruhe an diesem Ort, um dieses herrliche Fleckchen der Stadt ganz gechillt genießen zu können. Last but not least hat der Park natürlich auch botanisch einiges zu bieten. Im Sommer blühen die vielen Rosen. Ich persönlich schätze das Frühjahr im April/Mai sehr, wenn Lerchensporn, Magnolien und Obstbäume blühen und die hier in großem Bestand vorkommenden, in unserer Gegend extrem raren wilden Weinberg-Tulpen. Gerade jetzt (Mitte April 2019) sind am östlichen Sonnenhang die ersten gelben Blüten aufgegangen. Wer also in den nächsten 14 Tagen einen Ausflug zur Perle an der Innerste plant, dem sei ein Besuch im Magdalenengarten, der grünen Oase am grünen Gürtel der Stadt, allerwärmstens empfohlen.

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